Andreas Schütte: „Wir führen die Plastikverpackung in den Kreislauf“
von Saskia Haaker und Jürgen Clemens,
Symbolpolitik konzentriert sich auf große Symbole. Die Bundesregierung hat jetzt das Aus für ein Ex-und-hopp bei Einweg-Plastik beschlossen, das statt wiederverwertet oder wiederverwendet zu werden, im Müll landet. Sie setzte damit eine EU-Richtlinie um, die seit 2021 abfallintensive Einwegprodukte aus Kunststoff verbietet. Was Kunststoff aber unersetzlich macht, ist seine Schutzfunktion für Lebensmittel. In Zeiten der Pandemie ist Hygiene kein beiläufiger Aspekt. Der Kunststoff-Verpackungshersteller Paccor ist deshalb einen wesentlichen Schritt weiter, was Wiederverwenden und Wiederverwerten angeht: Der Konzern ist technologisch gerüstet, um Kunststoffverpackungen in einen echten Wertstoffkreislauf zu bringen, wie die Paccor-Vorstände Andreas Schütte (CEO) und Nicolas Lorenz (CCO) im nachfolgenden Interview erläutern. Eine neuartige Technologie zum Sortieren von Abfall hat den Vorteil, dass Kunststoffverpackungen ihren Nutzwert unbegrenzt einbringen können, etwa zur wichtigen Vermeidung von Lebensmittelverlusten.
Die von Paccor mitentwickelte Technologie garantiert zudem, dass Kunststoffverpackungen, die bisher als nicht recycelbar eingestuft wurden, ebenfalls einem geschlossenen Wertstoffstrom zugeführt werden können. Das dabei erhaltene Rezyklat entspricht durchaus den EFSA-Richtlinien zur Wiederverwertung im Lebensmittelkontakt. Paccor verfügt damit über die erforderlichen Voraussetzungen, um eine 100%ige Quote bei der Identifizierung und Sortierung von Verpackungsabfall zu realisieren.
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Das Bundesernährungsministerium führt nicht umsonst eine große Kampagne gegen Lebensmittelverschwendung. Aber haben wir Sie richtig verstanden, dass Verpackung unter den von Ihnen genannten Aspekten nicht grundsätzlich negativ gesehen werden sollte? Schütte: Es geht meines Erachtens immer um ein Abwägen verschiedener Faktoren. In den heutigen Diskussionen fokussiert man sich unserer Ansicht nach leider immer auf eine einzelne Kennzahl, die CO2-Vermeidung. Natürlich spielt CO2 beim Umweltschutz eine herausragende Rolle. Aber eben nicht die einzige. Ob ein Produkt ökologisch ist, entscheidet sich sowohl bereits bei der Gewinnung des Rohstoffs als auch am Ende seines Lebenszyklus. Im Neudeutschen ist hier die Rede von „cradle to grave“, also von der Entstehung bis zum Grabe. Es muss aber die gesamte Lieferkette betrachtet und nicht nur sklavisch immer auf einen einzelnen Faktor geschaut werden. Wichtige Fragen in dem Zusammenhang lauten etwa: Wie viel Wasser wird während des Lebenszyklus eines Produkts verbraucht? Wie viel Chemie kommt bei der Wasseraufbereitung zum Zuge? Wie viel Landfläche wird benötigt, welche Transportwege müssen genommen werden? All diese Fragen werden bei den Debatten um Mehrweg oder Einweg gerne außer Acht gelassen. Was ich damit sagen will, ist, dass zur Beurteilung von Produkten – ebenso wie auch Dienstleistungen – viele Faktoren über die gesamten Prozessketten hinweg ganzheitlich zu betrachten sind.
Nicht ohne guten Grund hat die EU-Kommission mittlerweile eine andere Kennzahl als CO2-Emissionen als wesentlichen Maßstab für die Umweltverträglichkeit von Produkten definiert: den sogenannten PEF – „Product Environmental Footprint“, also den Umweltfußabdruck eines Produkts. Dies ist eine zugegeben noch junge Methode zur ganzheitlichen Messung der Nachhaltigkeitsperformance, welche von der EU-Kommission in Kooperation mit Fachleuten entwickelt wurde. Dabei werden verschiedenste Parameter ermittelt, die die relevanten Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen sowie ressourcenbezogenen Belastungen eines Produktes darstellen. Für die Berechnung wird der gesamte Lebenszyklus eines Produktes betrachtet, von der Rohstoffbeschaffung bis zur finalen Entsorgung. Und dann sehen Ergebnisse plötzlich ganz anders aus, selbst wenn diese politisch so nicht gewollt sind.
Letztlich geht es also darum, die richtige Verpackung für den richtigen Zweck zu finden? Schütte: Absolut richtig, die richtige Verpackung muss für den richtigen Zweck ausgewählt werden. Und dabei ist vor allen Dingen ein ganzheitlicher Ansatz zu wählen. Nehmen Sie als Beispiel Papier. Heutzutage ist die Intention weit verbreitet, möglichst viele Verpackungen aus Papier zu verwenden. Aber wo soll das ganze Holz für eine Substitution von Plastik durch Papier herkommen? Aus Altpapier alleine geht das nicht! Mit jedem Verwertungszyklus verkürzen sich die Papierfasern und müssen durch Frischholz ersetzt werden. Wo sollen also die dafür erforderlichen Wälder angepflanzt werden? Es gibt meines Wissens nur eine Baumart, die so schnell nachwächst, dass sie diesen Bedarf decken könnte: Eukalyptus. Und der wächst in den tropischen Regionen. Für den Anbau von Eukalyptus müssten also Tropenwälder gerodet werden. Zudem würden solche Wälder viel Wasser benötigen. Hinzu kommt der Aufwand für den Transport. Und wenn dann das Altpapier endgültig sein Lebensende erreicht hat, muss es entweder deponiert oder verbrannt werden – und bei beiden Vorgängen entsteht CO2. Insofern ist die Mär vom ökologisch unbedenklichen Rohstoff Papier meines Erachtens reines ideologisches Wunschdenken.
Papier ist demnach ein Beispiel dafür, wie sich die Bewertung eines Rohstoffs mit wachsender Faktenlage ändern kann? Schütte: Ganz genau. Unter Verwendung des zuvor genannten PEF, haben wir Ökobilanzen erstellen lassen, in denen wir unsere Produkte bewusst mit alternativen Papierlösungen verglichen haben. Dabei wurde für alle Vergleichsprodukte immer ein gleicher Energiemix unterstellt und es wurde immer von den für uns ungünstigsten Annahmen ausgegangen. Ergebnis: Die Ökobilanz von Papierverpackungen ist nicht per se besser als von Kunststoffverpackungen. Häufig sogar schlechter!
Unabhängig davon kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Versuchen Sie mal in eine reine Papierverpackung Flüssigkeit abzufüllen, ohne dass diese nach kürzester Zeit durchtropft. Es mag Magiern in Zaubertricks gelingen, Wasser in eine Pommes-Tüte zu gießen und es so verschwinden zu lassen. Aber in der Realität muss Papier mit Polyethylen beschichtet sein, um Flüssigkeiten, wie z. B. bei den Coffee-to-go-Bechern, aufbewahren zu können. Eine solche Materialkombination führt in Konsequenz dazu, dass diese Art der Verpackung mit den heute verfügbaren Technologien nicht selektiv wiederverwertbar ist. Diese Art der Verpackung wird somit zu Sondermüll oder geht in die Müllverbrennungsanlage. Das wirft für mich die Frage auf, ob wir der Umwelt nützen, wenn wir einen komplett rezyklierbaren Plastikbecher durch ein nicht-rezyklierbares Produkt substituieren. Nachhaltig ist das nicht und sogar die Deutsche Umwelthilfe fordert mittlerweile ein Verbot dieser Produkte.
Andersherum gefragt: Was spricht denn unter Klima- und Umweltschutzgesichtspunkten für die Kunststoffverpackung? Schütte: Zunächst ist Kunststoff für mich ein Wertstoff wie andere Materialien auch. Die Kunststoffverpackung ermöglicht es, mehrere Ziele zu erreichen. So lässt sich beispielsweise mit einem Becher aus Kunststoff eine Flüssigkeit transportieren und konsumieren. Anschließend kann dieser Becher tatsächlich rezykliert werden. Wir haben mittlerweile Wertstoffströme aufgebaut, um gebrauchte Kunststoffverpackungen zurückzunehmen und wirklich im Kreislauf fahren zu können.
Punkt zwei: Dass Nahrungsmittel in einer Kunststoffverpackung luftdicht abgeschlossen werden können, trägt dazu bei, die Mindesthaltbarkeit des Produkts zu erhöhen. Wir bieten dazu Lösungen an, die besondere Barriere-Eigenschaften aufweisen, wie etwa Sauerstoffundurchlässigkeit. Und Kunststoffverpackungen genügen allen Hygieneanforderungen.
Punkt drei: Kunststoff ist leicht und hat den unschlagbaren Vorteil, maximal viel Inhalt zu transportieren und nicht Verpackung – bei Glas ist das anders. Den Begriff „Tara“ oder den Unterschied zwischen Brutto und Netto versteht heutzutage nicht mehr jeder.
Und zu guter Letzt: „Form follows function“ – Kunststoffverpackungen lassen sich so flexibel an das Packgut anpassen, so variabel gestalten, dass eine optimale Balance zwischen dem primären Nutzen, nämlich der Verpackung als solcher, und einem sekundären Nutzen, ebenfalls Informationen zu dem Produkt zu transportieren, hergestellt ist.
Sie haben gerade Ihre Produkte angesprochen. Können Sie kurz erläutern, was Paccor überhaupt macht, um was für ein Unternehmen es sich handelt und wo der Verbraucher mit Paccor-Produkten in Berührung kommt? Schütte: Nun, im Idealfall nutzen Verbraucher jeden Tag Paccor-Produkte. Wir sind ein Unternehmen, das über eine lange Tradition verfügt. Paccor ist aus dem Zusammenschluss zweier bedeutender Unternehmen der Verpackungsindustrie hervorgegangen: Zunächst wurde in 2007 die französische Veriplast-Gruppe erworben und im Jahr 2010 der Consumer Goods-Bereich des finnischen Verpackungskonzerns Huhtamäki OYJ. Beide Unternehmen wurden im Jahr 2011 zur Paccor-Gruppe zusammengeführt. Darüber hinaus wurden im Zuge der Öffnung des Eisernen Vorhangs in Osteuropa ehemalige Staatsunternehmen akquiriert, die dann in bereits bestehende Gesellschaften integriert wurden. Somit weist Paccor auf der einen Seite eine, wenn man die individuellen Werke betrachtet, sehr lange Geschichte auf, als Gruppe dagegen eine eher junge. Der Name Paccor setzt sich übrigens aus den Worten PACkaging und CORe zusammen – „Packaging is our Core-Competence“ – „Verpackungen sind unsere Kernkompetenz“.
Wir stellen formfeste Verpackungen her, wie z.B. Menü- und Fleischschalen, Behälter für Fertiggerichte, Getränkebecher, Joghurt-Becher und viele andere Produkte im Frischesortiment eines Retailers. Wir decken mehrere große Segmente ab. Eines lässt sich in „Dairy“, sprich Molkereiprodukte, zusammenfassen. Dann der Bereich des sogenannten Industrial Food oder Processed Food mit Produkten für vorabverpackte Salate oder Fertiggerichte, wie z.B. Sushi. Hinzu kommt der Cateringbereich, indem wir etwa für Fluggesellschaften Trinkbecher oder Abdeckungen für Menüschalen herstellen. Außerdem produzieren wir sogenannte FFS-Folien – Form-Fill-Seal-Folien –, bei denen es sich um ein Flachprodukt handelt, vergleichbar mit Stahl- oder Aluminiumbandmaterial. Dieses Produkt wird von unseren Abnehmern in einem kontinuierlichen Prozess geformt, befüllt und verschlossen. Das Kundenportfolio von Paccor ist breit gefächert – nicht nur multinationale Konzerne sind unsere Kunden, sondern auch regionale Kunden haben Vertrauen in unsere Fähigkeiten, die nachhaltigsten Produkte der Zukunft zu entwickeln.
Unser regionaler Fokus ist im wesentlichen Europa. Hier gehören wir zu den führenden Unternehmen unserer Branche. Von der verarbeiteten Tonnage her sind wir die Nummer drei in Europa. Wir sind überzeugt, in den von uns bedienten Marktsegmenten immer noch sehr stark wachsen zu können, obwohl es die europäische Politik anscheinend darauf angelegt hat, der Kunststoffindustrie den Garaus zu machen.
Nun zeigen sich viele Menschen besorgt, dass durch ein großes Abfallaufkommen die Umwelt geschädigt wird. Lassen sich Umweltschutz und Kunststoffverpackungen aus Ihrer Sicht miteinander vereinbaren? Lorenz: Prinzipiell ist es so, dass alle Produkte, die wir herstellen, heute recyclingfähig wären. Und vom derzeitigen technischen Stand her könnten wir auch alle unsere Produkte wiederverwerten. Dem stehen jedoch Regularien entgegen, die das nicht erlauben – speziell in unserer Industrie, weil unsere Produkte Lebensmittel verpacken. Per Gesetz müssen Lebensmittelverpackungen bestimmten Anforderungen genügen, wenn sie aus Abfall-Rezyklaten gefertigt werden.
In einem idealen Wertstoffkreislauf von Kunststoffverpackungen muss der Konsument lediglich die Verpackung wieder dem Wertstoffkreislauf zuführen und nicht sinnlos wegwerfen. Denn wir als Industrie könnten mit spezieller Technik Kunststoffprodukte aus dem Wertstoffkreislauf heraussortieren, um sie wiederzuverwerten. Das wäre ideal. Ist es möglich? Ja. Was steht dem entgegen? Im Regelfall die Politik.
Schütte: Es ist unser expliziter Wunsch, dass Kunststoff zurückgeführt wird, und zwar so viel wie möglich. Denn wir betrachten ihn als Wertstoff. Wir haben bereits die Voraussetzungen geschaffen, um Kunststoff aus dem Abfallaufkommen sortengerecht zu separieren und dann der Wiederverwertung zuzuführen. Wir führen die Plastikverpackung zurück in einen geschlossenen Kreislauf. Das ist unser Ziel. Unser primäres Interesse ist definitiv nicht, dass der Kunststoff weggeschmissen wird. Denn Einweg ist eine Sackgasse.
Daher stehen wir jeder Regelung positiv gegenüber, die dazu beiträgt, dass die einzelnen Verpackungsmaterialen – und zwar unabhängig davon, ob es sich um Papier, Glas, Kunststoff oder was auch immer handelt – so bewertet werden, wie sie tatsächlich über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg zu den verschiedensten Emissionsklassen in der Umwelt beitragen. In Ökobilanzen, deren Durchführung standardisiert sein muss, sollten alle Materialien bzw. Produktgruppen einem Vergleich unterzogen werden. Da würden sich etliche vorgefasste, ideologische Ansichten schnell relativieren.
Nehmen wir zum Beispiel die Glasflasche. Für die Glasherstellung wird nicht nur erhebliche Energie benötigt, Glas benötigt auch den Rohstoff Sand, der mehr und mehr zu einer begehrten und seltenen Ressource wird. Es macht nachweislich keinen Sinn, Glasflaschen über tausende von Kilometern im Mehrweg hin und her zu transportieren. Man überlege sich nur, wie viele zusätzliche Lkw dieses nutzlose Hin und Her zur Folge hat. Und die Glasflaschen müssen nicht nur voll in eine Richtung, zum Verbraucher, kutschiert werden, wobei durch das erhöhte Gewicht der Glasflasche weniger Inhalt transportiert werden kann. Später, wenn sie geleert sind, müssen diese Glasflaschen auch wieder zurücktransportiert werden. Dabei sind unsere Straßen schon jetzt überfüllt. Zur Reinigung und zum Wiederbefüllen von Glasmehrwegbehältern werden Unmengen von Wasser und aggressive Chemikalien eingesetzt. Macht das ökologisch Sinn? Daran habe nicht nur ich große Zweifel. Unter Umweltaspekten ist Glas-Mehrweg, wenn überhaupt, nur auf kurze Distanz sinnvoll.
Derzeit wird über eine sogenannte Plastiksteuer diskutiert, wie bewerten Sie die ökologische Lenkungswirkung? Schütte: Unter ökologischen Gesichtspunkten muss das ganz einfach als „schlecht gedacht ist schlecht gemacht“ kategorisiert werden. In der jetzigen Gesetzgebung wird kein Pfandsystem diskutiert, durch das unser Material zurückzugegeben ist. Stattdessen soll Kunststoff durch eine Abgabe verteuert werden. Ein solches System bezahlt am Ende der Verbraucher, ohne dass dem Umweltschutz dabei irgendwas Gutes zuteil wird.
Warum ist das so? Weil singulär immer wieder nur auf einen Aspekt abgestellt wird, nämlich auf den CO2-Ausstoß, anstatt ganzheitlich das Thema „Umweltschutz“ zu betrachten. Die Europäische Kommission diskutiert vor dem Hintergrund eines New Green Deal die Einführung einer Plastiksteuer, mit der eine ökologische Lenkungswirkung erreicht werden soll. Tatsächlich werden unseres Erachtens nach mit der jetzt diskutierten Plastic Tax, jedoch nur Haushaltslöcher gestopft – und zwar bewusst unabhängig davon, ob so eine richtige ökologische Lenkungswirkung entfacht wird oder nicht.
Die Herausforderung besteht doch darin, den Konsumenten zu überzeugen, jedwede Art von Verpackungen einer Wiederverwertung zuzuführen! Es muss nur alles im gelben Sack oder in vergleichbaren Abfallsystemen entsorgt werden. Das eingesammelte Abfallaufkommen kann dann sortengerecht separiert werden. Das gilt auch für unterschiedliche Kunststoffarten, egal ob PET oder Polypropylene („z. B. PP“) – und dafür gibt es bereits die erforderlichen Technologien. Doch anstatt weiter Sortiertechnologien zu fördern und intensiv voranzubringen wird von politischer Seite bedauerlicherweise genau das Gegenteil getan. Aber selbst die Fridays-for-Future-Bewegung hinterlässt bei ihren Demos Müllberge – welche Doppelmoral!
Lorenz: Bereits in der Plastikdirektive aus dem Jahr 2015 hat die Europäische Kommission klar festgelegt, dass in die Infrastruktur des Recyclings, das Waste Management, investiert werden soll. Sie hat für diese Investitionen den einzelnen Mitgliedsländern freie Hand gelassen, je nachdem wie sie diese Technologie nutzen wollen. Drei Jahre später wirft die Kommission das alles über den Haufen, weil sie von der Friday-for-Future-Bewegung dazu getrieben wird.
Wie ließe sich denn ein effizientes Konzept für das Recycling von Kunststoffverpackungen konkret realisieren? Schütte: Dazu muss dem Verbraucher zunächst einmal verständlich gemacht werden, dass eine Verpackung ein Wertstoff ist. So sind wir beispielsweise überhaupt nicht gegen ein Pfand- oder vergleichbares Rücknahmesystem. Der Verbraucher muss einen Anreiz haben, die Verpackung zurückzugeben. Zweitens ist der Gesetzgeber gefordert, klare Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass die Beteiligten an einem solchen Wertstoff-Kreislauf ihrer Verpflichtung nachkommen, dafür entsprechend zu investieren. So muss etwa ein Recycling-Unternehmen, welches die getrennten Wertstoffe wiederverkaufen kann, vorab die erforderlichen Sortiereinrichtungen schaffen, um Kunststoffe, Glas und Papier zu separieren. Wichtig ist ebenfalls, dass die Anlage erkennt, ob eine Kunststoffverpackung im Bereich der Lebensmittelindustrie eingesetzt wurde oder sie beim Maler als Farbeimer verwendet wurde. Denn letztgenannte Verpackung kann nicht recycelt werden, um sie anschließend für Lebensmittel wiederzuverwenden.
Um es noch einmal ganz deutlich zu machen: Die Technologien, um eine Verpackung entsprechend zu identifizieren, zu separieren und anschließend an die Verwerter bzw. an uns, die Verarbeiter, zurückzuführen, sind vorhanden. Nur bislang schieben sich alle Beteiligten die Verantwortung zu, wenn es darum geht, wer die notwendigen Investitionen tätigen muss. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, klare Signale zu setzen und festzulegen, dass derjenige, der das Material verwertet und ein Geschäft daraus macht, auch die dafür notwendigen Investitionen zu tragen hat.
Paccor zielt ja nun auf hundertprozentiges Recycling ab. Sind Sie denn so weit, dass Sie das umsetzen können? Schütte: Technologisch sind alle Lösungen vorhanden. Unser Problem besteht vielmehr darin, dass wir nicht ausreichend Wertstoff aus der Separierung zurückbekommen. Auch eine Vielzahl von Marktbegleitern ist heute technologisch in der Lage, rezykliertes Material komplett wiedereinzusetzen.
Woran liegt es denn, dass Sie nicht genügend Material bekommen? Stimmt da etwas bei der Erfassung nicht? Lorenz: Lassen Sie mich versuchen, das Problem am Beispiel PET zu verdeutlichen. Für Produkte, die wir an die Lebensmittelindustrie liefern, gilt die sogenannte 95-5-Regel. Danach muss ein Produkt, das wir aus Rezyklat hergestellt haben, zu 95 Prozent im vorherigen Leben bereits einmal eine Lebensmittelverpackung gewesen sein. Aber es ist unmöglich, solche Verpackungen in der Wertstoffanlage im ersten Sortierprozess herauszufinden. Dort läuft das Band mit vier Metern pro Sekunde, da können die Kameras nur die Struktur der Produkte und das Material erkennen. Daher hat man sich irgendwann auf das Aussortieren von Produkten beschränkt, die in jedem Fall mit einem Lebensmittel befüllt waren. Und das sind die PET-Getränkeflaschen. Die Getränkeindustrie hatte lange Zeit kein großes Interesse an rezyklierten Flaschen. Deswegen hatten wir ausreichend Zugang zu rezyklierbarem Material. Bei 1,2 Millionen Tonnen PET-Material aus Flaschenware, das wir in Europa zum Recycling bringen können, kommt ganz schön etwas zusammen.
Aber es ist nicht genügend Material für einen wirklich geschlossenen Wertstoffkreislauf vorhanden. Denn jetzt wollen auch die Flaschenhersteller ihre eigenen Produkte zurück. In diesem Zusammenhang ergibt sich die interessante Frage, wem eine solche Flasche eigentlich gehört. Denn der Verbraucher zahlt beim Kauf des Getränks ein Pfand für die Flasche. Geht damit nur der Inhalt in sein Eigentum über, ist er nur temporärer Besitzer der Flasche? Manche Flaschenhersteller verweisen auf das Pfandsystem in Deutschland und fordern alle ihre Flaschen zurück, um sie wiederbenutzen oder ein Rezyklat daraus machen zu können. Damit nehmen sie dieses Material vom Markt. Das ist eine weitere der sehr vielen Baustellen im Bereich der Kunststoffverpackungen, die nur der Gesetzgeber beseitigen kann. Es gibt jedoch genügend Kunststoffmaterial, das bislang überhaupt nicht rezykliert wird. Und wir engagieren uns dafür, dass auch dieser Wertstoff nach Gebrauch verwertet werden kann.
Wie gewährleisten Sie, dass recycelte Lebensmittelverpackungen den hygienischen Anforderungen entsprechen? Lorenz: Nach der Behandlung des Materials bei 90 Grad in einer Natronlauge, anschließender Trocknung und Verarbeitung zu Flakes, einer weiteren halben Stunde bei 160 bis 180 Grad in einer Dekontaminationseinheit und der Weiterverarbeitung bei 260 bis 280 Grad in einem Extruder, sind alle möglichen Reststoffe vollkommen entfernt.
Wir haben die entsprechenden Recycling-Vorschriften, die auf Verlangen der European Food Safety Authority (EFSA) erstellt wurden, sehr wohl implementiert, beachten diese und haben darauf reagiert. Wir haben Technologien entwickelt, um recyceltes Material so weiterverarbeiten zu können, dass daraus eine neue lebensmittelgerechte Verpackung entsteht. Das muss man an den zuständigen Stellen aber auch zur Kenntnis nehmen. Was nützt unser Engagement in diesem Bereich, wenn die Politik uns nicht anhört, kein Interesse an unseren Lösungen zeigt und nicht daran interessiert scheint, deren Entwicklung zu folgen und Investitionen in diese Technologien wenigstens zu ermöglichen?
Stattdessen werden alle möglichen Interessenten abgeschreckt! Nehmen Sie als Beispiel die Nahinfrarottechnologie im Kamerabereich zum Aussortieren rezyklierbaren Abfalls. Wollte man alle Müllverbrennungs- bzw. Müllverwertungsanlagen in Europa damit bestücken, würde das voraussichtlich rund achteinhalb Milliarden Euro kosten – allein nur für eine solche Kamera in jedem Unternehmen, die sich häufig auch noch in kommunalem Eigentum befinden. Angesichts eines solchen Investitionsbedarfs tendiert die Politik dann eher dazu, Plastik komplett zu verbieten, als zu sagen, man könnte es ja auch wieder benutzen.
Schütte: Diese Beispiele zeigen, wie sehr die Diskussion bei diesem Thema von Unkenntnis beherrscht ist. Dabei werden viel zu viele Stichworte in einen Topf geschmissen und durcheinandergebracht, sei es nun Mikroplastik und Plastikabfall in den Meeren oder andere. Stattdessen sollte man aus unserer Sicht zunächst einmal sortieren, wer wofür verantwortlich ist. Wo kommt denn das Mikroplastik her? Es wird für Kosmetika verwendet. Eine weitere große Quelle ist Elasthan in Kleidungsstücken, das durch Waschpulver abgerieben und dann über das Abwasser entsorgt wird. Auch der Reifenabrieb von PKW und dem Schwerlastverkehr in die Umwelt erzeugt Mikroplastik und Feinstaub – daran ändern auch Elektroautos nichts.
Werfen wir einen Blick auf das Plastik im Meer, das sich so gut mediengerecht darstellen lässt. Der Müll im großen Pazifischen Müllstrudel wurde mit Sicherheit nicht ursprünglich in europäischen Meeren entsorgt. Selbst wenn an der Nordsee eine Plastiktüte ins Wasser geworfen würde, wäre es von den meerestechnischen Strömungen her nicht möglich, dass diese jemals an den Galapagosinseln als Gefahr für eine Schildkröte landet.
Um keine Zweifel aufkommen zu lassen und es an dieser Stelle unmissverständlich klarzustellen: Wir sind gegen jeden Export von Müll! Denn das ist der größte Fehler, den die deutsche Entsorgungswirtschaft jemals gemacht hat.
Wie sieht es denn aufseiten der industriellen Abfallsammler und Sortierer aus? Investieren diese Unternehmen genug? Lorenz: Die Verwerter sehen derzeit keinen zusätzlichen kommerziellen Nutzen für Investitionen in Innovationen. Tatsächlich müsste man wohl auch viel Geld in die Hand nehmen, wollte man in der Branche alle technologisch auf den neuesten Stand bringen. Das gilt nicht nur für Plastik, sondern für den gesamten Wertstoffstrom. In Deutschland sind wir in dieser Hinsicht deutlich besser aufgestellt, weil wir diesen Bereich hierzulande bereits frühzeitiger privatisiert haben. In anderen Ländern ist Entsorgung und Wiederverwertung immer noch Aufgabe der Kommunen, die dafür selbst investieren müssen. Doch die sind dazu meist finanziell nicht in der Lage. In ein modernes Recyclingwerk zu investieren steht bei den meisten Kommunen – wenn überhaupt – sehr weit hinten auf der Agenda. Darüber hinaus fühlen sich viele Recycler und Wertstoffunternehmen über die Jahre vernachlässigt bis schlecht behandelt und ziehen sich daher, wenn es um zusätzliches Recycling geht, auf die Position zurück „this time it’s your turn“.
Aber ein Verwerter agiert doch in einem absolut politiknahen Bereich. Er nimmt an Ausschreibungen teil und bewirbt sich um kommunale Aufträge bei der Abfallentsorgung. Da wäre es doch ein Leichtes, solche Aufträge an bestimmte Bedingungen zu knüpfen, oder nicht? Schütte: Das trifft an der Stelle nur auf den Standort Deutschland zu. Europaweit weisen die Abfallentsorgungssysteme hingegen eine ziemliche Heterogenität auf. Wenn Sie da nach den Eigentümern der Entsorgungsbetriebe fragen und danach, wer tatsächlich entsorgt, dann gelangen Sie sehr schnell zu der Erkenntnis, dass in sehr vielen Fällen nach wie vor die öffentlichen Institutionen die Entsorgung selbst durchführen. Und genau diese öffentlichen Organe sind nicht bereit, Geld in den Bereich Entsorgung zu investieren, auch wenn für sie natürlich der gleiche marktwirtschaftliche Mechanismus gelten sollte. Nämlich der, dass man einen Wertstoff separieren und wiederverwerten kann. Doch wie schon gesagt, dafür sind zunächst Investitionen erforderlich.
Lorenz: Dazu möchte ich noch einen kuriosen Gedanken anfügen. Wir alle kennen die Flaschensammler, die auf der Jagd nach dem Flaschenpfand sind. Gesetzt den Fall, der Konsument bekäme für das, was er in den Gelben Sack hineinschmeißt, Geld anstatt dafür bezahlen zu müssen – was meinen Sie, wie schnell wir ein funktionierendes Sammelsystem in Deutschland hätten? Was meinen Sie, wie bereitwillig die Haushalte dabei mitmachen würden? Was mich an den öffentlichen Diskussionen zum Thema Verpackung massiv stört, ist, dass wir als Industrievertreter schnell niedergebrüllt werden.
Man räumt uns gar nicht erst die Möglichkeit ein, unsere Lösungen zu erläutern oder anzubieten. Dabei haben wir sehr gute Lösungen. Wir, die Firma Paccor zum Beispiel, arbeiten gemeinsam mit einem führenden europäischen Umweltserviceanbieter intensiv daran, Wege zu finden, wie man bereits genutztes Kunststoffmaterial wirklich in ein Wertstoffrecycling einbringen kann – und zwar nachhaltig, sicher sowie den gesetzlichen Anforderungen entsprechend. Dabei achten wir sehr darauf, dass unsere Lösungen auch kostengünstig sind. Denn es geht ja um Verpackungen für Lebensmittel, die einen vernünftigen Preis haben sollen. Daran arbeiten zurzeit viele Unternehmen, aber wir scheitern alle an derselben Stelle: wenn die Politik ins Spiel kommt.
Sie haben gerade die Lösungen angesprochen, die Sie zusammen mit ihren Partnerunternehmen entwickelt haben. Verstehen wir Sie da richtig, dass diese im Labormaßstab bereits in trockenen Tüchern sind? Lorenz: Wir haben ein gemeinsames Projekt mit dem Titel „Talking Waste through digital recycling passports“ – der mit einem digitalen Pass ausgestattete sprechende Abfall. Daran sind neben uns auch noch andere Unternehmen beteiligt. Bei diesem Vorhaben geht es darum, dem Verpackungsbfall seine Anonymität zu nehmen. Denn die ist dafür verantwortlich, dass ein großer Anteil des Abfallaufkommens nicht als Wertstoff genutzt wird. Deshalb hat Paccor Packaging zusammen mit der Digimarc Corporation ein digitales Wasserzeichen entwickelt, das Verpackungsabfall erstmalig eine Identität gibt: Verpackungsabfall bekommt einen „digitalen Ausweis“ und wird zu „Talking Waste“, der Auskunft über seinen gesamten Life-Cycle geben kann.
Dieses digitale Wasserzeichen wird direkt auf die Oberfläche von einem PET-Kunststoff aufgebracht. In diesem digitalen, für das menschliche Auge nicht wahrnehmbaren Barcode können Informationen über die einzelne Verpackung gespeichert werden, etwa aus welchem Material sie hergestellt ist und was darin verpackt war. Die in dem Wasserzeichen enthaltenen Informationen lassen sich über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg nutzen und abrufen: von der Produktion angefangen, über die komplette Lieferkette hinweg, also auch an der Kasse im Supermarkt, bis hin zur Entsorgung.
Bei einem Laborversuch im vergangenen Jahr konnten alle unserer Verpackungen aus einem simulierten Abfallstrom heraussortiert werden. Und das bei einer Bandgeschwindigkeit von drei Metern pro Sekunde. Inzwischen haben wir das auch mit einem Tempo von fünf Metern pro Sekunde ausprobiert, ebenfalls erfolgreich. Aber das haben wir bislang noch nicht kommuniziert.
Was sind Ihre nächsten Schritte? Lorenz: Derzeit geht es bei „Talking Waste“ darum, das Vorhaben aus dem Labormaßstab in ein repräsentatives Pilotprojekt zu überführen. Dieser Praxistest würde nachweisen, dass Verpackungen, die bisher als nicht recycelbar gelten, sehr wohl einem geschlossenen Wertstoffstrom zugeführt werden können und das dabei gewonnene Rezyklat sogar den Richtlinien zur Wiederverwertung im Lebensmittelkontakt entsprechen würde.
Das Interview wurde bereits in der Flexo+Tief-Druck 5-2020 (September-Ausgabe; Seite 56) veröffentlicht.