IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen e.V.

“Ungleiche Spielregeln sind ökologisch und rechtlich unbegründet”

Kunststoffverpackungen: Ungleiche Spielregeln sind ökologisch und rechtlich unbegründet
Im Interview: Dr. Isabell Schmidt, IK-Geschäftsführerin für Kreislaufwirtschaft, und Dr. Martin Engelmann, IK-Hauptgeschäftsführer (Quelle: IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen e.V. )

Nach zwei Monaten intensiver Diskussionen haben sich die Verhandlungsteams des Europäischen Parlaments und der Mitgliedstaaten am 4. März 2024 auf vorläufige Kompromisse zu den künftigen Verpackungsregeln im EU-Binnenmarkt geeinigt. Unklar ist noch, ob die EU-Kommission dem Kompromiss zustimmt. Die EU-Verpackungsverordnung, kurz PPWR, betrifft nahezu sämtliche Wirtschaftsbereiche und ist wegen ihrer vielen Detailregelungen höchst umstritten. Zu den Ergebnissen der Verhandlungen geben IK-Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Engelmann und IK-Geschäftsführerin für Kreislaufwirtschaft Dr. Isabell Schmidt Auskunft.

Kann die PPWR nach dem gestrigen Kompromiss zwischen dem Europäischen Parlament und den Mitgliedsstaaten noch vor den Europawahlen endgültig verabschiedet werden?

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Martin Engelmann: Das ist noch unklar, weil die Kommission dem gestrigen Kompromiss nicht zugestimmt hat. Sie könnte mit einem Veto die Einigung noch zu Fall bringen. Endgültige Klarheit werden wir wohl erst haben, wenn das neue Parlament einem Kompromiss zustimmt. Von dem ursprünglichen Plan, die Verhandlungen vor den Europawahlen im Juni 2024 endgültig abzuschließen, hat man sich schon länger verabschiedet. Grund dafür ist, dass die finale Vereinbarung noch von den Juristen geprüft werden muss. Daher könnte zwar das aktuelle Parlament in seiner letzten Sitzungswoche Ende April noch über den vorläufigen Kompromiss abstimmen. Wegen der noch ausstehenden juristischen Prüfung und der zu erwartenden Änderungen wird allerdings die letzte Entscheidung bei dem neu gewählten Parlament liegen, das sich vermutlich erst Anfang 2025 mit der PPWR befassen wird. Endgültige Klarheit gibt es daher vermutlich erst Anfang nächsten Jahres.

Was ist der Grund für die Ablehnung durch die EU-Kommission?

Martin Engelmann: Dabei geht es um die Definition von Kunststoffabfällen und die Frage, ob Rezyklate auch aus Abfällen aus nicht-EU-Staaten hergestellt werden dürfen. Die Frage ist sehr wichtig, weil ab 2030 in kunststoffhaltigen Verpackungen Mindestmengen an Rezyklaten vorgeschrieben sind. Das Problem ist, dass die Kommission ursprünglich vorgeschlagen hatte, dass Rezyklate nur aus Abfälle aus der EU, nicht jedoch aus anderen Staaten, hergestellt werden dürfen. Erst jüngst hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass dies gegen die  internationalen WTO-Regeln verstoßen würde, weil z.B. ein US-Hersteller von Keksen erst Rezyklate aus der EU importieren müsste, um dann die Kekse mit Verpackungen in der EU vermarkten zu dürfen. Für Kommission ist eine Änderung dieser Vorschrift ein Muss. Im Parlament und unter den Mitgliedstaaten gibt es aber durchaus Befürworter solch protektionistischer Maßnahmen.

Was bedeutet die absehbare Verzögerung für die Unternehmen?

Martin Engelmann: Die Verhandlungen unter extremem Zeitdruck erinnern stark an die Situation von vor 5 Jahren: Damals wurde unter großer Hektik die Einwegkunststoff-Richtlinie vor den Europawahlen durchgeboxt. Aufgrund der negativen Erfahrungen bei der Umsetzung warnen wir vor übereiltem Aktionismus. Die PPWR ist zu wichtig, um sie übers Knie zu brechen. Was die Wirtschaft vor allem braucht, ist Rechts- und Planungssicherheit, um in die Kreislaufwirtschaft investieren zu können. Auf der einen Seite schmerzt es daher, noch ein weiteres Jahr auf das Gesetz warten zu müssen. Auf der anderen Seite ist die gewonnene Zeit als Chance zu sehen, um klare und vor allem auch rechtssichere Regelungen zu treffen.

Sie spielen auf ein Rechtsgutachten zu den Sonderregeln für Kunststoffverpackungen an, welches Ihr Verband in Auftrag gegeben hat. Zu welchem Ergebnis kommt dieses Gutachten?

Martin Engelmann: Viele der Vorschläge zu Verboten, Reduktionszielen, Mehrwegquoten, Recyclinganforderungen und Einsatzquoten für Rezyklate gelten teilweise nur für Kunststoffverpackungen oder sehen Ausnahmen für andere Verpackungsmaterialien vor. Gemeinsam mit unseren europäischen und französischen Schwesterverbänden haben wir die internationale Rechtsanwaltskanzlei Dentons beauftragt zu prüfen, ob diese materialspezifischen Sonderregelungen mit europäischem Recht vereinbar sind. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen den EU-rechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, da keine sachlichen Gründe für eine Ungleichbehandlung vorliegen. Darüber hinaus wurden Verfahrensgrundsätze verletzt, da nicht alle relevanten Fakten berücksichtigt wurden. Wir fordern daher die Entscheidungsträger auf, gleiche Regelungen für alle Verpackungsmaterialien zu schaffen.

Was bedeutet es, wenn diese Sonderregelungen trotzdem in Kraft treten?

Martin Engelmann: Anders als bei der Einweg-Kunststoff-Richtlinie können betroffene Unternehmen gegen die Regelungen der PPWR direkt klagen und sie gerichtlich überprüfen lassen. Ich rechne damit, dass es insbesondere gegen die Sonderregeln und Ausnahmen Klagen vor dem Europäischen Gericht geben wird, einfach weil es vielfach keinen Grund für eine unterschiedliche Behandlung verschiedener Verpackungsmaterialien gibt und diese auch den Zielen der PPWR widerspricht. Dies gilt für die Ausnahme von Verpackungen mit weniger als 5% Kunststoffanteil von den Rezyklateinsatzquoten genauso wie für die weitreichenden Ausnahmen von Kartonverpackungen von den Mehrwegquoten, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Welche Folgen hätten die Sonderregeln für Kunststoffverpackungen für die Umwelt?

Isabell Schmidt: Die Ungleichbehandlung würde insbesondere den Ersatz von reinen Kunststoffverpackungen durch schwer recycelbare Papier-Kunststoff-Verbunde befeuern. Mit großer Sorge sehen wir, dass diese Verbundmaterialien an verschiedenen Stellen in der Gesetzgebung besser gestellt werden. So haben sich die politischen Verhandlungsführer offenbar darauf verständigt, dass Verpackungen mit weniger als 5 Prozent Kunststoffanteil von den Rezyklateinsatzquoten ausgenommen werden sollen. Das erzeugt eine ökologisch dramatische Fehlsteuerung zu kunststoffbeschichteten Kartonagen! In gleicher Weise kann man auch den Mehrwegvorgaben in vielen Fällen einfach ausweichen, indem man Einwegverpackungen aus anderen Materialien als Kunststoff nutzt. Insgesamt begünstigen die Sonderregelungen eine Verschiebung hin zu dickeren und schwereren Verpackungsmaterialien und damit zu mehr Verpackungsmüll und mehr CO2-Emissionen. Das ergibt ökologisch keinen Sinn.

Welche Punkte sind für die IK-Mitglieder besonders wichtig?

Isabell Schmidt: Besonders kritisch für die Kunststoffverpackungshersteller in Europa ist die geplante Definition des „großmaßstäblichen“ Recyclings. Dieses Kriterium zur Bewertung der Recyclingfähigkeit von Verpackungen soll ab 2035 zusätzlich zu den Design-for-Recycling-Anforderungen für alle Verpackungen gelten. Der aktuelle Vorschlag sieht vor, dass die erzeugte Rezyklatmenge mindestens 55 % der in Verkehr gebrachten Menge des entsprechenden Verpackungsformats entsprechen muss, damit das Verpackungsformat noch zulässig ist. Auch dieser Vorschlag fördert den Trend zu Papier-Kunststoff-Verbunden, da diese keine eigene Verpackungskategorie darstellen und somit von den hohen Recyclingquoten für Pappe/Papier/Karton profitieren würden. Zudem liegt die Erfüllung der Vorgabe nicht in der Hand der Wirtschaft, da die getrennte Abfallsammlung und die Zuführung zum Recycling staatliche Aufgaben sind. Schon jetzt laufen 19 EU-Länder Gefahr, ihre Recyclingziele für 2025 zu verfehlen, wie die EU-Kommission selbst festgestellt hat. Auf diese Weise könnte für viele Verpackungen ab 2035 automatisch ein Verbot eintreten, obwohl sie alle europäischen Anforderungen an eine recyclinggerechte Verpackungsgestaltung erfüllen.

Sorgen bereiteten Ihrem Verband auch die Rezyklateinsatzquoten. Können Sie uns dies näher begründen?

Isabell Schmidt: Das ist richtig. Die Quoten für Lebensmittelverpackungen und andere kontaktempfindliche Verpackungen aus Polyolefinen, die ab dem Jahr 2030 gelten sollen, erzeugen für die Verpackungshersteller eine Abhängigkeit von Großinvestitionen in das chemische Recycling. Insgesamt benötigt die Verpackungsindustrie bis zum Jahr 2030 die fünffache Menge an hochwertigen Rezyklaten. Die Zeit für die Technologieentwicklung, Planung, Genehmigung und Errichtung der benötigten Kapazitäten im Recycling wird indes jetzt schon knapp. Auch landen immer noch zu viele Kunststoffabfälle im Restmüll und damit in der Verbrennung oder auf der Deponie. Das alles sind noch ungelöste Herausforderungen, die Risiken für die Lieferketten bedeuten. Mit der voraussichtlichen Verzögerung der PPWR verlieren wir leider ein weiteres Jahr für die notwendigen Anpassungen am Markt.

Aber wir müssen den Blick nach vorne richten. Wir werden die gewonnen Zeit bestmöglich nutzen, um weiterhin für faire und effektive Verpackungsregeln zu kämpfen. Bei den Rezyklateinsatzquoten setzen wir uns für ein Pooling ein, bei dem mehrere Hersteller die Quoten gemeinsam erfüllen können. Eine solche Pooling-Lösung ist bereits für die Erfüllung der Mehrwegvorgaben vorgesehen.