Meinung - virtual.drupa 2021

Digitaler Verpackungsdruck – Bahn frei für die vernetzten Fabriken der Zukunft!

In nur zwanzig Jahren ist der Digitaldruck in praktisch jeden Bereich der Druckindustrie eingezogen. Selbst auf dem schwierigen Gebiet der Lebensmittelverpackungen (Quelle: Nestlé)

In der Verpackungsbranche stehen zahlreiche Veränderungen an. Treibende Kräfte sind neue Vertriebskanäle (insbesondere online), neue Lieferkettenkonzepte (etwa Multichannel), wachsende Anforderungen an die Nachhaltigkeit sowie der Trend zu Individualisierung und Personalisierung. All dies erfordert neue Technologien und Materialien. Eine wichtige Weichenstellung ist der Digitaldruck. Nestlé hat in diesem Bereich bereits größere Investitionen getätigt, Trends beobachtet und sich auf die speziellen Anforderungen an Lebensmittelverpackungen eingestellt.

Schon faszinierend, wie sich eine seit Jahrhunderten „analoge“ Zunft in so kurzer Zeit neu erfunden hat. In nur zwanzig Jahren ist der Digitaldruck in praktisch jeden Bereich der Druckindustrie eingezogen. Selbst auf dem schwierigen Gebiet der Lebensmittelverpackungen, mit hohen Stückzahlen und strengen Regularien, gewinnt er an Boden.

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Nestlé sieht darin keine Modeerscheinung, sondern einen langfristigen Trend. Mehr noch: Digitaldruck ist eine wichtige Voraussetzung für grundlegendere Anpassungen in der Verpackungsindustrie.

Die Drupa hat es bisher schon gezeigt: Die Zukunft ist digital. Neben führenden Herstellern mit ausgefeilten Digitalisierungsstrategien treten immer wieder neue Akteure auf den Plan. Doch bei aller Dynamik bleibt das Angebot auch stark fragmentiert. In den kommenden Jahren dürfte sich der Markt konsolidieren, um gewachsenen Anforderungen und neuen Anwendungen noch besser zu begegnen. Zugleich ist zu beobachten, dass Druck und Industrie wieder zusammenfinden: Digitaldruck als Teil komplexer Produktionsprozesse. Der Grund dafür heißt „Late Stage Customisation“, Individualisierung als letzter Fertigungsschritt.

Statische und variable Designdaten werden dynamisch mit produktionsspezifischen Auftragsdaten kombiniert, damit jede einzelne Verpackung am Ende ganz individuell gestaltet werden kann.
(Quelle: Nestlé)

Wenn nun Technologien reifen und Preise fallen, wird es immer wieder neue Möglichkeiten geben, vom Digitaldruck zu profitieren – im kleinen oder auch ganz großen Rahmen. Allerdings ist auch mit zusätzlichen Hürden und Stolpersteinen zu rechnen. Gegenwärtig gibt es zwei Faktoren, die in Sachen Digitaldruck immer wichtiger werden:

Nachhaltigkeit
Unsere Produktionsprozesse, und damit auch die Druckproduktion, müssen umweltverträglicher werden. So hat Nestlé sich beispielsweise verpflichtet, ab 2025 ausschließlich recyclingfähige oder wiederverwertbare Verpackungen einzusetzen. Zu diesem Zweck wurde das Nestlé Institute of Packaging Sciences gegründet, das gemeinsam mit Lieferanten und weiteren Partnern alternative Verpackungsmaterialien erforscht. Doch schon jetzt ist klar, dass diese Materialien, etwa Laminate auf Papierbasis, vergleichsweise schwache Barriereeigenschaften aufweisen werden. Für den Druck birgt dies neue Herausforderungen. Trotz unbestrittener Fortschritte bei der Lebensmittelechtheit von Digitaldrucktinten werden gängige Digitaldrucklösungen – Druck, Tinte und Weiterverarbeitung – optimiert werden müssen, um den strengen Anforderungen an Lebensmittelverpackungen zu genügen. Weitere Aspekte, an denen noch gefeilt werden muss, sind Recyclingfähigkeit, Wiederverwertbarkeit und Kompostierbarkeit. Werden die heutigen Technologien all dem gewachsen sein? Es bleiben nur noch wenige Jahre: Nachhaltigkeit wird zu einem immer wichtigeren Entscheidungskriterium. Darauf muss sich die Druckindustrie einstellen.

Datenmanagement
Der zweite Faktor hat mit der Variabilität der Drucke (Ausgabe) und des Drucks selber (Prozess) zu tun. Da sich im Digitaldruck jeder einzelne Ausdruck dynamisch mit variablen Daten versehen lässt, entstehen völlig neue Anforderungen an das Datenmanagement. Und so kommen wir wieder zur „Late Stage Customisation“, die Thema so vieler Referate und Fachartikel zum Digitaldruck ist. Individualisierung ganz zum Schluss bringt für den Verpackungsdruck eine gehörige Umstellung: Die bisher starre Lieferkette weicht einer vernetzten Produktion, bei der es durchaus vorkommt, dass diverse statische und variable Elemente eines Designs an unterschiedlichen Standorten gedruckt werden. Statt sämtliche Druck- und Weiterverarbeitungsprozesse an einen einzigen Akteur auszulagern, muss mit vielfältigen Lieferkettenoptionen gearbeitet werden, die auf unterschiedliche Produktvarianten, Geschäftsmodelle und Vertriebskanäle eingestellt sind. Zwischen Komplettauslagerung und Komplettproduktion im eigenen Haus kommen die verschiedensten Modelle in Betracht. Kurz, „Late Stage Customisation“ bringt eine neue Dimension von Flexibilität und Variabilität. Datenmanagement ist das A und O dabei.

In einem durchgängigen Workflow, der die gesamte Lieferkette umfasst, müssen auftragsrelevante Daten mit sämtlichen Etappen in Druck und Weiterverarbeitung vernetzt werden. Genauer gesagt gibt es zwei Dimensionen – eine horizontale und eine vertikale. Horizontal geht es um die Digitalisierung sämtlicher Anlagen und Verfahren in der Produktion, um straffere Abläufe bei weiterhin höchster Farbpräzision zu erzielen. In der Druckvorstufe ist dieser Prozess längst schon abgeschlossen, im Druck ist er in vollem Gang, und nach und nach werden auch gängige und weniger gängige Schritte der Weiterverarbeitung und Veredelung einbezogen. Dazu kommt eine vertikale Integration, die ganz im Zeichen der Daten steht. Zu gewährleisten ist, dass in passgenauen On-Demand-Abläufen genau die richtigen Varianten mit den richtigen Daten entstehen. Statische und variable Designdaten werden dynamisch mit produktionsspezifischen Auftragsdaten kombiniert, damit jede einzelne Verpackung am Ende ganz individuell gestaltet werden kann.

Die bisher starre Lieferkette weicht einer vernetzten Produktion, bei der es durchaus vorkommt, dass diverse statische und variable Elemente eines Designs an unterschiedlichen Standorten gedruckt werden
(Quelle: Nestlé)

Dieser Grad an Integration und Vernetzung zur Erzielung der Losgröße 1 mag zunächst futuristisch erscheinen, und er ist tatsächlich ein hoch gestecktes Ziel. Doch alle notwendigen Technologiebausteine gibt es bereits. Digitale Frontends, als erweiterte RIPs, können komplexe Vorlagen dynamisch und blitzschnell verarbeiten. Produktionsleitsysteme (MES) senden Daten aus dem Produktionsauftrag an die verschiedenen Stationen der Produktionslinie. Für anspruchsvollere Funktionen, wie Serialisierung oder Aggregation, bieten sich spezielle Server an. Für wirklich jeden Datentyp gibt es einen eigenen, entsprechend optimierten Kanal. Da auch die Netzwerktechnologie immer raffinierter wird, können sämtliche Komponenten der Produktionsumgebung, bisher weitgehend unabhängig, horizontal und vertikal in Kommunikation treten – Voraussetzung für eine 1:1 individualisierte On-Demand-Verpackungsproduktion.

Daten sind die Antriebskraft der modernen Wirtschaft. Internetgiganten wie Google, Apple, Facebook und Amazon (GAFA) haben es uns vorgemacht. Je effizienter wir Daten erstellen, erfassen, bearbeiten, kombinieren, extrahieren, analysieren, verarbeiten und weitergeben, desto erfolgreicher können wir sein. Farbpräzision und Prozesseffizienz bleiben wichtig, doch das nächste große Anliegen im Verpackungsdruck wird die Überführung digitaler Inhalte in ganz konkrete, kundenspezifische Elemente auf der Verpackung sein. Diese Verbindung der digitalen und physischen Welt, mitunter als „Blended Reality“ bezeichnet, bedeutet einen Paradigmenwechsel, der durch das Zusammenspiel von Digitaldruck, Daten und Vernetzung ermöglicht wird. So nähern wir uns dem „heiligen Gral“ unserer Branche, der massenweisen Individualisierung von Konsumgüterverpackungen – und Schritt für Schritt auch den vernetzten Fabriken der Zukunft. So manches in dieser Richtung dürfte auf der virtual.drupa 2021 zu sehen sein. Ich bin gespannt darauf!