Marken-Charaktere und ihre ganz persönlichen Geschichten
von Ansgar Wessendorf,
Ende Oktober fand in den Räumen des Deutschen Verpackungsmuseums in Heidelberg, der 19. Deutsche Verpackungsdialog statt. Das diesjährige Thema lautete: „Markencharaktere“. Folgerichtig waren es auch echte (Unternehmer-) Charaktere, die vier Vorträge vor 100 Gästen aus Verpackungs- und Markenindustrie sowie Vertretern der Medien hielten.
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Unter den Zuhörern waren erneut viele Inhaber und Geschäftsführer aus der Markenartikel- und Verpackungsindustrie vertreten („Nestlé“, „Ritter Sport“, „Ferrero“, „Unilever“, „Lamy“, „Henkel“ Düsseldorf, „Dr. Oetker“, Kao/“Goldwell“, „BASF“, „Schamel“-Merrettich etc.).
Marke „Kathi“
Den Anfang machte Unternehmer Rainer Thiele, Beiratsvorsitzender der Kathi Rainer Thiele GmbH. Er referierte über das Paradoxon des Unternehmertums im Sozialismus am Beispiel seiner von den Eltern im Jahre 1951 in Halle gegründeten Firma. (Der Name „Kathi“ geht auf die Gründerin Käthe Thiele zurück.) Die Zuhörer erfuhren, wie trotz permanenten Mangels und staatlicher Gängelung unternehmerischer Geist eine Marke weiterentwickeln konnte, die sich bis heute im harten Wettbewerb behaupten kann. In Zeiten des, wie es Thiele beschrieb, „latenten Mangels“ im SED-Staat hatte der elterliche Betrieb die allererste Backmischung überhaupt im deutschen Markt entwickelt, da der Hausfrau damals die benötigten Zutaten nicht sicher zur Verfügung standen. Im Westen folgten 1970 (mit „Kraft“) und 1972 (mit „Dr. Oetker“) auch Hersteller der Marktwirtschaft dem östlichen Vorbild. „Kathi“ ist heute mit über 42 % souveräner Marktführer im deutschen Osten und belegt bundesweit mit ca. 12 % immerhin einen beachtlichen dritten Platz. Zentrales Thema des bekennenden Christen und Familienunternehmers war (neben seiner authentisch vorgetragenen Erinnerung an die politisch motivierten Unterdrückung in der DDR-Diktatur) die Bedeutung von Logo und Verpackung für die Entwicklung einer Marke. Im Vorgriff auf das Lutherjahr 2017 stellte er als Neuentwicklung seinen „Lutherkuchen“ vor, der bereits erfolgreich in die USA verkauft werde.
Marke „Frosch“
Verpackung als politisches Statement für mehr Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit stand im Mittelpunkt des Vortrages von Reinhard Schneider, geschäftsführender Gesellschafter und Alleininhaber der Werner & Mertz GmbH Mainz. Hauptumsatzträger des rheinhessischen Traditionsunternehmens ist die ökologisch orientierte Marke „Frosch“, die mittlerweile souveräner Marktführer auf dem deutschen Reinigungsmittelmarkt ist. Ausgehend von der Perspektive, dass es bald mehr Plastik als Fisch in den Weltmeeren gäbe, stellte Schneider die auf eine Kreislaufwirtschaft hin ausgerichtete Recyclat-Initiative seines Unternehmens vor, das hierin u. a. mit dem „Grünen Punkt“ und „REWE“ zusammenarbeitet. Technologisch könne der Anteil von Abfall-Recyclat in der Packungsproduktion, wenn die Kosten beherrschbar blieben, von derzeit beachtlichen 20 sogar auf 40 % gesteigert werden. Nach Angaben des Unternehmers wurden zudem bereits über 3 Millionen Flaschen komplett aus Altplastik produziert. Die nötige Technologie stelle sein Unternehmen als „open standard“ auch Wettbewerbern gerne zur Verfügung, ja suche sogar nach Mitstreitern. Auf dem G7-Gipfel in Berlin hatte Schneider Gelegenheit, seine Initiative ausländischen Experten vorzustellen. Zum Thema Preispolitik betonte der Unternehmer, sich konsequent aus dem „Rotstiftmilieu“ des Discounts (in dem mittlerweile sogar Traditionsmarken wie „Persil“ verramscht würden), fernhalten zu wollen.
„Tannenzäpfle“
Was eine „Kultmarke“ ausmacht und wie man eine Marke gänzlich ohne Werbung dennoch mit Inhalten aufladen kann, war das Thema von Christian Rasch, Alleinvorstand der Badischen Staatsbrauerei Rothaus AG, Grafenhausen-Rothaus. Der Brauereichef identifizierte neben immer gleichbleibender höchster Produktqualität vor allem den konservativen Umgang mit Verpackung und Logo seiner Marke „Tannenzäpfle“ als Schlüsselelement des großen Erfolges. Starke Marken zeigten sich ihrer Kundschaft auch dadurch als gefestigt, dass man ein etabliertes Design nicht unnötig verändere. Den Widerspruch, eine Marke ohne klassische Werbung zu führen, löste Rasch durch seine Ansicht auf, dass für Kultmarken der Kunde beziehungsweise der Konsument selbst werben würde. Seine Marke solle ihren Kunden eine „Leinwand“ für deren eigene Projektionen sein: Keinesfalls wolle man festgelegte Motivwelten werblich aufs Gleis setzen, welche die Konsumerfahrung nur unnötig einschränken würden. Das Kultpotential seiner Marke sah der Redner weniger durch die branchen-untypisch hohe Gewinnmarge bestätigt. Für das emotionale Engagement der Verwenderschaft spräche vielmehr, dass dem auf der Packung abgebildeten „Schwarzwald-Maidle“ die Kundschaft einen erfundenen Namen verliehen habe: Birgit Kraft. Dies sei eine im alemannischen Dialekt versteckte Botschaft, dass „Bier“ eben „Kraft“ gebe. Kult könne man nicht kaufen, man müsse ihn nur zulassen – wie die Liebe.
Marke „Champagne Charles Heidsieck“
Einen Parforceritt durch 165 Jahre Markengeschichte demonstrierte im vierten und letzten Vortrag Stephen Leroux, Executive Director von „Champagne Charles Heidsieck“ aus Reims. Auch er qualifizierte die bedingungslose Orientierung oder (wie der Vortragende es nannte) „Obsession“ einer Fokussierung auf Spitzenqualität als wesentliches Erfolgselement der Marke. Eindrücklich erfuhr das Auditorium, wie die Firmengeschichte selbst die Marke über mehr als anderthalb Jahrhunderte stringent aufgeladen hat. Der Markengründer war eine in den USA legendäre Figur, der in Zeiten des Bürgerkriegs mit beiden Amerikas Geschäfte machte. Bezeichnenderweise wurde sein Leben von Allan Eastman 1989 als TV-Movie verfilmt – mit Hugh Grant in der Hauptrolle (deutscher Untertitel: „Ein Leben berauschend wie Champagner“).
Als einer der ersten Europäer hatte nämlich der als „Champagne Charlie“ auch bei den Frauen beliebte Unternehmer weite Teile des Kontinents bereist. Als gelernter Textilkaufmann hatte er, um drohende Zahlungsausfälle seiner Südstaaten-Kundschaft zu kompensieren, eine Zahlung in Baumwolle akzeptiert. Im Norden galt er nun als Spion und Kollaborateur – und wurde von General Butler gewaltsam arretiert. Von Präsident Abraham Lincoln persönlich aus der Haft entlassen, konnte „Charlie“ dann nach unvorhersehbaren Entwicklungen zum überraschenden Eigentümer eines Drittels der Grundfläche der Stadt Denver/Colorado werden. Historisch unwiederbringliche sollte dann seine weitsichtige Investition in den Ankauf von legendären Kreide-Kellern der Römerzeit („Crayères“) tief im Boden unter Reims werden. Die Keller sind heute ein touristischer Magnet der Champagner-Metropole, differenzieren die Marke bis heute – und sind nach wie vor Grundlage für deren absolute Spitzenqualität.
Maggi-Flasche – Verpackung des Jahres 2016
Erneut wurde auf diesem 19. Dt. Verpackungsdialog in Heidelberg die „Verpackung des Jahres“ gekürt. In Würdigung ihrer Rolle als „Klassiker“ des internationalen Verpackungsdesigns und zugleich als Anerkennung für die bewiesene Beständigkeit im Umgang mit der etablierten markanten Flaschenform ging die Auszeichnung an „Maggi“. Die legendäre Langhalsflasche hatte 1886 Julius Maggi persönlich gestaltet. Im 130.ten Jahr des Markenbestehens erhielt seine Schöpfung nun den Preis „Verpackung des Jahres“ 2016 – wenn das keine Erfolgsgeschichte ist! Die Würze der Marke bleibt also immer noch die Produktgestaltung.